Focus 01.03.1993

Ihre persönliche Gesundheitsreform

KRANKENVERSICHERTE IM TARIFDSCHUNGEL

Im Kampf um eine faire und soziale Vorsorge müssen Sie sich selbst. helfen. FOCUS sagt wie. Von FOCUS-Redakteur Matthias Kowalski

Klaus Rittershaus macht seinem Ärger Luft: „Das war eine beraterische Fehlleistung par excellence.“ Vor zwei Jahren wollte der Frankfurter mit seiner Frau beim Privatanbieter Deutsche Krankenversicherung (DKV) den Luxustarif für ambulante Behandlung abspecken, um Geld zu sparen.

Der Versuch kommt Klaus und Bärbel Rittershaus heute teuer zu stehen. Das Versicherungsunternehmen hatte beide in einen leistungsschwächeren Billigtarif eingestuft, der binnen Jahresfrist explodiert ist. Folge: Statt zusammen 1240 Mark für ihren alten Luxustarif muß das Ehepaar seit Januar 1555 Mark im Monat einkalkulieren – bei deutlich verschlechterter Leistung.

Zu allem Übel bekamen sie durch den Wechsel saftige Risikozuschläge aufgebrummt und sind dennoch bei Krankheiten schlechter abgesichert.

In dem „Billigtarif“ gewährt ihnen die DKV um bis zur Hälfte weniger Altersrückstellungen. Ein Zurück gibt es nicht, und ihre 39jährige Treue zur DKV wird den beiden auch nicht gelohnt, denn ihr Beitrag reicht fast an den Tarif für Neueinsteiger heran.

Im Tarifdschungel der Privaten Krankenversicherungen (PKV) gänzlich verloren fühlt sich auch der Verleger Manfred Krick. Die DKV hatte den 53jährigen auf Wunsch aus einem geschlossenen Tarif umgestuft. Seinen Beitrag von über 606 Mark konnte er damit tatsächlich halbieren – für nur vier Monate. In diesem Jahr aber sprang der Tarif um 107 Mark in die Höhe. Folge: Verlust an Altersrückstellungen und explosionsartige Beitragsanpassung nach der Umstellung. Krick, seit 29 Jahren bei der DKV: „Ich bin stocksauer.“

Groteske Situation: Zwar hören mittlerweile alle Verantwortlichen die soziale Bombe in der Krankenversicherung ticken, doch weder Politik noch Bundesaufsicht sind willens oder fähig, sie zu entschärfen. „Wenn die PKV auf Dauer weiterbestehen wollen, müssen sie auf die sozialen Probleme der Beitragshöhe bei Älteren reagieren“, orakelte jetzt Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer.

Doch erzwingen kann er gar nichts, schließlich ist Finanzminister Theo Waigel für die Versicherungen zuständig. Der hat bislang wenig Neigung gezeigt, sich mit ihnen anzulegen. In der PKV sei es nicht möglich, auf die Einkommensverhältnisse der Versicherten abzustellen, beschied sein Ministerium knapp. „Insofern unterscheidet sie sich nicht von anderen Zweigen der privaten Versicherung wie z. B. Hausrat- oder Wohngebäudeversicherung.“

Hilflos ist auch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen: Die Berliner Beamten haben zwar sehr wohl erkannt, daß der „Versicherungsschutz im Alter natürlich nicht durch unbezahlbar hohe Beiträge in Frage gestellt“ werden darf. Doch müssen sie brav alle Tarifkapriolen absegnen, sobald „Grund und Höhe versicherungsmathematisch nachweisbar“ erscheinen.

Die Versicherten sind völlig auf sich selbst gestellt. Tarifdschungel, Beitragssprünge, schlechte Beratung: „Ich bin gespannt, wie lange die Verbraucher sich das noch gefallen lassen“, sagt Wolfgang Scholl, PKV-Spezialist der Düsseldorfer Verbraucherzentrale.

„Dabei gibt es gute Unternehmen, man muß sie nur finden“, weiß Peter Zinke. Der unabhängige Vermittler aus Wiesbaden hat seit sechs Jahren über 300 Policen ausgewertet und die Tarifsysteme der Anbieter hinterfragt. Das Ergebnis sind eine Strukturanalyse und eine Checkliste, mit denen jeder ganz leicht in der privaten Krankenversicherung die Spreu vom Weizen trennen kann. Die immer wieder veröffentlichten Vergleichslisten der Einstiegstarife bei einem fixen Betrag Selbstbeteiligung helfen gar nicht weiter.

Zinkes Ideen stellen das gesamte Wertesystem der Branche auf den Kopf und fordern eine neue Sorte qualifizierter Berater. Daß er sich damit nicht nur Freunde macht, ist dem Vermittler klar: „Die meisten Anbieter halten mit wichtigem Detailwissen hinterm Berg und wollen im Grunde nur verkaufen, nicht beraten. Das ist bewußte Desinformation.“

Häme über Privatpatienten, die heute unter ihrer Beitragslast ächzen, hält Verbraucherberater Scholl für fehl am Platz: „Die sind doch oft völlig ahnungslos in die Tarifspirale geschliddert. Um das zu durchschauen, muß man schon Versicherungsmathematiker sein.“

Die PKV werden heute ihrer sozialen Verantwortung somit nicht gerecht, bilanziert Zinke. „Nur die Versicherten selbst können die Unternehmen zwingen, sozial verantwortliche Beiträge und Tarife anzubieten.“ Er macht seine Ideen an folgenden Überlegungen fest:
Heute kann jede Versicherung durch Neutarife ihre Bestandskunden ausgrenzen und ins Messer laufen lassen. Nicht einmal eine generelle Informationspflicht über Neutarife, in die Bestandskunden wechseln können, fordert die Bundesaufsicht.
Das reine Preis-Leistungs-Verhältnis ist irreführend. Wer beim billigen Jakob abschließt, muß mit einem bösen Erwachen rechnen, wenn der Tarif durch verstärkte Inanspruchnahme der üppigen Leistungen explodiert.

Vorsicht bei fantastisch klingenden Leistungsversprechen: Anbieter, die Erstattungen etwa für Brillen oder Zahnersatz nicht sinnvoll begrenzen, sind mit Vorsicht zu genießen. Über ihre Beiträge finanzieren Sie immer den maßlosen Luxus der anderen mit.

Skepsis bei Unternehmen, die heute mit üppigen Beitragsrückerstattungen um junge Kunden buhlen. Das Geld fehlt später an Altersrückstellungen.

Diese Altersrückstellungen sind zu Recht in der Diskussion. Bei einer zehnjährigen Mitgliedschaft können leicht mehrere zehntausend Mark angesammelt sein. Sie werden aufgebraucht, wenn mit zunehmenden Alter höhere Kosten für Medikamente und Behandlung anfallen. Über jeden, der heute die Versicherung wechselt oder gar in die gesetzlichen Kassen zurückschlüpft, freuen sich die Privaten: Sie dürfen sich die aufgelaufenen Rückstellungen einverleiben.

Vordenker Peter Zinke fordert deshalb ein „Nießbrauchrecht für Altersrückstellungen“. Vorteil: Auch wenn jemand in eine gesetzliche Kasse zurückkehrt, werden die gebildeten Rückstellungen auf alle Zusatzversicherungen angerechnet, die bei der alten Privatversicherung laufen.

Wie Unternehmen auf Forderungen nach mehr Transparenz im Tarifwirrwarr reagieren, hat Dieter Meishner bitter erfahren: Nachdem der Bezirksleiter der Vereinten Krankenversicherung in Münster „die Beitragsmanipulationen“ vom vergangenen Jahr kritisiert hatte, kündigte ihm das Unternehmen.

Die Forderung des Bundes der Versicherten, die private Krankenvollversicherung abzuschaffen, lehnt Zinke ab. Das hieße, nicht alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um mehr Transparenz in das System zu bringen. „Die Guten der Branche würden so für die schlechten Anbieter bestraft. Und gute Unternehmen gibt es.“

SO FINDEN SIE DIE RICHTIGE VERSICHERUNG
Der billigste Einstiegstarif ist das falsche Auswahlkriterium: Die meisten Billigtarife explodieren, sobald die Versicherten alle versprochenen Leistungen auch in Anspruch nehmen. Es wird so gut wie kein Neutarif geschaffen, ohne daß alte Tarife durch zu große Leistungszusagen und Versäumnisse bei der Risikoauslese kaputtgemacht wurden. Folge: In den einstigen“Billigtarif“ steigt niemand mehr ein und die darin Versicherten vergreisen.

So lesen Sie die Tabelle: Die Monatsbeiträge sind allesamt direkt vergleichbar. Die Selbstbeteiligung (SB) hat FOCUS für Sie auf die fixen Monatssätze schon aufgerechnet (maximale Jahres-SB: 12).

Vergleichen: Am schlechtesten kommt eine Frau bei der Halleschen Nationalen Tarif 1 (876 Mark) davon. Doch ist Mißtrauen beim um 55 Prozent günstigeren Tarif 2 (391 Mark) der Barmenia angesagt: Das Unternehmen hat ältere Tarife, die schon expolodiert sind. Berater Zinke rät ab: „Bei Hallescher Nationale und Barmenia bleibt man für immer auf einmal erhobenen Risikozuschlägen sitzen, ein Wechsel in billigere Neutarife ist versperrt.“

Gut: Unternehmen, die nicht andauernd Neutarife schaffen und Bestandskunden damit auch nicht ausgrenzen. Mit dieser Geschäftspolitik sind Alte Oldenburger und Universa durchaus konkurrenzfähig. Zudem können Sie problemlos in der SB umsteigen.

Beispiele für monatliche Nettobeiträge privater Vollkostenversicherungen im Zwei-Bett-Zimmer

CHECKLISTE PRIVATE KRANKENVERSICHERUNG
Auf den Zahn gefühlt
Wer sich privat krankenversichern will, darf nicht nur nach Preis und Leistungen schielen. Um sicher zu gehen, daß die Beiträge auch in Zukunft noch bezahlbar bleiben, müssen Sie jetzt die Versicherungen mit unangenehmen Fragen konfrontieren. Fordern Sie Antwort auf alle Fragen, bevor Sie unterschreiben. Dieser neue Check, den FOCUS zusammen mit der Vermittlung Aladon erarbeitet hat, ist auch für Privatpatienten ein Muß: Sie sollten einen Versicherungswechsel ins Auge fassen, wenn das Unternehmen mit seinen Antworten unter der Mindestpunktzahl 40 bleibt.

Das sollten Sie fragen:

  1. Tarifübersicht
    Erhalte ich bei Vertragsabschluß eine Liste, in der alle geschlossenen und alle für Neuzugänge geöffneten Tarife danach aufgeschlüsselt sind, unter welchen Bedingungen später ein Wechsel in alle anderen Tarife möglich wäre?
  2. Police
    Weist jede Beitragsrechnung den gültigen Tarifbeitrag, die angerechneten Altersrückstellungen sowie die zu zahlende Prämie gesondert aus?
  3. Fallbeispiel
    Wieviel zahlt ein(e) heute 63jährige(r) Versicherte(r) bei der selben Gesellschaft an Beiträgen,der (die) mit 40 Jahren eingetreten ist? Auch wenn der Tarif neu ist, auf Berechnung nach Endalter 63 bestehen.
  4. Tarifwechsel
    Kann ich als Versicherter bei späteren Neutarifen jeder Art ohne erneute Gesundheitsprüfung, unter Mitnahme aller meiner Altersrückstellungen und jederzeit in den neuen Tarif wechseln, und zwar auch dann, wenn die Gesellschaft mit einem anderen Unternehmen fusionieren würde?
  5. Tarifauswahl
    Könnte ich jederzeit bei mehreren Tarifwerken (auch bei geschlossenen) ohne erneute Gesundheitsprüfung sowie unter Mitnahme aller Rückstellungen uneingeschränkt wechseln und die Höhe der Selbstbeteiligung bestimmen?
  6. Kündigung
    Habe ich nach einer Beitragserhöhung mindestens acht Wochen Zeit zu kündigen?
  7. Risikozuschläge
    Läßt die Gesellschaft einmal erhobene Risikozuschläge wegfallen,sobald die medizinische Ursache des Zuschlags entfallen ist?

Hintergrund der Frage
Zwingt Versicherung zu Transparenz.
Bisher: Keine Information ist Geschäftspolitik. Größte Gefahr für spätere Jahre, wenn Ihr Tarif explodiert und ein Wechsel ausgeschlossen ist.

Wertung: bei positiver Antwort 10 Punkte
Bei einem Nein muß bewußte Desinformation angenommen werden.
Wertung: 10 Punkte für ein Ja

Nur so können Sie annähernd erahnen, was im Alter einmal auf Sie zukommt. Oft werden Ausflüchte gebraucht, um die Angaben zu verweigern.
Wertung: 10 Punkte für die Kalkulation

Nur so können Sie sicher sein, nicht in einem geschlossenen Tarif mit anderen Altversicherten bei deftigen Beitragssprüngen zu vergreisen. Nur gute Unternehmen erkennen hier ihre soziale Verantwortung und geben ein klares Ja (10 Punkte) ab

Eine variable Selbstbeteiligung bleibt im Alter oft die einzige Möglichkeit, die Versicherungsbeiträge in einem erträglichen Rahmen zu halten
Wertung: 5 Punkte für ein uneingeschränktes Ja
Bisher: maximal vier Wochen, zudem oft nur zum 1. 1. möglich. Nur bei mindestens acht Wochen haben Sie ausreichend Zeit, um Vergleiche einzuholen und die nötigen ärztlichen Untersuchungen abzuhaken.
Wertung: 2 Punkte
Wer krank ist, muß bei Abschluß Risikozuschläge zahlen. Nach der Heilung sollten sie wieder wegfallen.
Wertung: 2 Punkte für ein Ja

Ergebnis und Wertung:
49 Punkte: Unternehmen kann aus heutiger Sicht als seriös gelten. Seltener Glücksfall.
bis 45 Punkte: Unternehmen bemüht sich um Kundenfreundlichkeit und Transparenz. Auf jeden Fall in die engere Wahl.
bis 40 Punkte: Versicherung bietet den nötigen Standard an Zuverlässigkeit und sozialer Verantwortung. Offene Fragen vom Vermittler mit Originalpolicen beantworten lassen.
weniger als 40 Punkte: Hände weg! Von einem Wechsel oder Eintritt in diese Versicherung ist dringend abzuraten.

Aus FOCUS Nr. 9 (1993)

Aus FOCUS Nr. 9 (1993)

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Aus FOCUS Nr. 9 (1993)

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Quelle: http://www.focus.de/finanzen/news/krankenversicherte-im-tarifdschungel-ihre-persoenliche-gesundheitsreform_aid_141245.html

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